Älter, man wird Älter. Haben wir früher Stunden vor der Halle angestanden, um möglichst nahe an der Bühne zu stehen, schlendern wir diesmal gemütlich eine Stunde nach (!) Einlass zur Köln-Arena. Anstehen dürfen wir trotzdem noch eine Stunde – der „Mobile Tickets“ sei dank. „Heller, sie müssen ihr Handy heller machen. Noch heller. … Nein, den Automatikmodus bitte ausmachen … noch heller, maximale Stufe.“ Und dann bekommen wir endlich unser Armbändchen für die Southside. Bekommen wir? Nein, Sonja hat die Northside am Arm. Da wir uns dann doch entscheiden, das Konzert gemeinsam anzuschauen, laufen wir zurück zum Einlass, unterbrechen dort die „Nein, das muss noch heller“-Diskussion und etikettieren Sonja auch mit der Southside.
Älter, ist auch das Publikum. Waren die Besucher beim letzten Konzert vor fünf Jahren alle so alt wie ich jetzt bin, so sind sie in diesem Jahr nochmal zehn Jahre älter. Junges Gemüse sucht man in den ersten Reihen vergeblich. Ersten Reihen? Ja, obwohl wir erst so spät gekommen sind, bekommen wir ganz locker einen Platz in der dritten Reihe an der Experience Stage – in Fachkreisen auch e-Stage genannt.
Früher wusste ich auch mehr. Ich habe keine Ahnung von der genauen Setlist, keinen Schimmer vom Ablauf und weiß noch nicht mal, welcher Song gespielt wird, bevor die Band endlich auf die Bühne kommt. Das weiß anscheinend der Rest der 18.500 (?) Fans, denn als „People have the power“ von Patti Smith ertönt, steht die Halle erstmals Kopf. Apropos Kopf, ein ziemlich blonder kommt dann direkt vor unserer Nase auf die e-Stage. Bono ist da, keine fünf Meter entfernt. Der Abend kann beginnen.
Älter, ist auch der 55-jährige Frontmann und Hobby-Politiker geworden. Nach dem schweißtreibenden Auftakt (The Miracle, The Electric Co., Vertigo, I will follow) und dem Jugendpart von Bono (Iris, Cedarwood Road) kommt uns Bono erstmals mit „Song for someone“ besuchen. Schweißtreibend deshalb, weil Bono seine Brille abnimmt, um sein Gesicht zu trocknen. Wir erhaschen einen Blick auf seine Augen. Alter Mann, setz‘ die Brille schnell wieder auf.
Mit Sunday Bloody Sunday, Raised by wolves, Until the end of the world kommt nur der stärkste Part des ersten Teils, bevor es in eine kurze Pause geht. Danach ist die Anzahl der Gänsehaut-Momente gar nicht mehr zu zählen, oder wie es ein Kollege von RP-Online beschrieb: „Wer bis jetzt nicht wusste, ob man an den Fußsohlen Gänsehaut bekommen kann, hat nun Gewissheit.“ Alleine für October und Bullet the blue sky hätte ich den Eintrittspreis bezahlt. An der E-Stage kommt Club-Atmosphäre auf, als die Band sich für einige Songs dort sammelt und einen (Überraschung!) weiblichen Fan auf die Bühne holt, der sich von Larry noch die letzte, fehlende Unterschrift aufs T-Shirt signieren lässt.
Natürlich kommen politische Statements nicht zu kurz, das gehört beim U2-Konzert dazu und wird gefeiert. Egal, ob nun gemeinsam für Henriette Reker gesungen wird, Bono sich für die Willkommenskultur in Deutschland mit einem fetten #refugeeswelcome auf der Leinwand bedankt oder Stephen Hawking pathetisch fordert „Wir sind alle Zeitreisende, die zusammen in die Zukunft aufbrechen.“ Vielleicht erreicht das den ein oder anderen, der bisher anderer Meinung war. Auch dafür hat sich das dann gelohnt.
Am Ende verlangt der alte Mann auf der Bühne von seinem Publikum, dass es One für ihn singt, dabei bleibt uns schon längst die Stimme weg, wir werden eben alle nicht jünger.