oder: Für Dich ist die Show zu Ende
Marillion vs. Porcupine Tree – so lautete der Kampf der Prog-Giganten am vergangenen Wochenende und der Schiedsrichter war … ich!
Den Anfang machten die Altstars von der Insel. Die Marillios traten allerdings mit stumpfen Waffen im Delphi-Showpalast an, hatten sie doch sämtlichen elektro-verstärkenden Schnickschnack daheim gelassen und statt dessen Xylophon, Glockenspiel, Zither und ähnliche obskure Instrumente auf der Bühne platziert, deren Kenntnis mein Musik-P4-Wissen übersteigt. Proggig waren da zunächst einmal nur die Securities (neudeutsch für Sicherheitspersonal), die wohl in Erwartung eines Hells-Angels-Konzertes engagiert worden sind und angesichts der Marillion-üblichen Fan-Familien-Atmosphäre deplatzierter wirkten als die Instrumente, mit denen sich Sänger H umgab. Eines davon war eine alte Orgel, die noch älter klang und aus dem Fundus von Petes (Marillions Bassist) Opa stammt. Nun gut … im Ergebnis bewiesen die fünf gestandenen Herren, dass sie ihr Handwerk auch auf akustischer Basis verstehen. Mit viel Liebe zum Detail präsentierten sie zunächst das komplette neue Album Less Is More. Etwas merkwürdig, denn sowas macht man eigentlich nur mit Konzept-Alben, aber dazu später mehr …
Anschließend gönnten die Herren sich und dem sitzenden Publikum eine kurze Pause, die einige Fans der ersten Reihe sehr ausdehnten, was H zu Beginn des zweiten Konzertabschnittes irritierte: "Ich spiele nicht weiter, wenn ich nur leere Stühle sehe." Hat er dann zwar doch, ließ sich aber auch von vorbei eilenden Hell Angels-Securities aus der Ruhe bringen.
Nach der Pause bewiesen Marillion, dass sie akustisch genauso abrocken können wie sonst gewohnt und fesselten mit tollen Versionen von Hollow Man und 3 Minute Boy. Zusammen mit dem sehr gesprächigen Frontmann H kam die gewohnt familiäre Atmosphäre auf, die ein Marillion-Konzert ausmacht.
Es wurde übrigens reichlich fotografiert während des Konzertes – auch mit großen Spiegelreflexkameras. Irgendwie lag mir das jetzt auf dem Herzen. (Die Bilder in diesem Eintrag wurden freundlicherweise von Rainer Prüsse zur Verfügung gestellt)
Go!
Interior Lulu
Out of this World
Wrapped up in Time
The Space
Hard as Love
Quartz
If my Heart…
It´s not your Fault
Memory of Water
21st Century
—-
Cover my Eyes
Beautiful
A Collection
The Hollow Man
Drilling Holes
You`re Gone
80 Days
Gazpacho
—-
Easter
Made Again
—-
Answering Machine
3 Minute Boy
24 Stunden später traten dann die amerikanischen und jüngeren Kollegen um Frontmann Steven Wilson, Procupine Tree, im Bremer Aladin auf die sehr saubere Bühne. Dafür hatte ein mächtig tätowierter Roadie vor Konzertbeginn gesorgt. Nachdem die Vorband Katatonia sehr zeitig die Bühne verlassen hatte, eroberte besagter Roadie zusammen mit seinem roten Staubsauger die mit Teppich ausgelegte Bühne und wurde nicht müde diese äußerst gründlich abzusaugen. Ein Bild für die Ewigkeit, das ich leider nicht schießen durfte, denn das Fotografieren – auch mit dem Handy – war strikt untersagt. Darauf wiesen nicht nur die Securities am Eingang mündlich und mit Leibesvisite ausdrücklich hin, sondern ebenso eine Lautsprecher-Durchsage direkt vor dem Konzert. Ups, da meint es wohl jemand ernst, dachte ich und sah meine Vermutung bestätigt, als beim zweiten Song, zwei kräftige Männer an mir vorbei liefen, und einen Fan mit Kamera aus der ersten Reihe rauszogen: "Für Dich ist das Konzert zu Ende." Tja, soviel zur Fan-Nähe.
Tosenden Applaus gab es aber zunächst für den Roadie, der nach einer gefühlten halben Stunde sein Werk getan hatte und den Staubsauger beiseite stellte. Kurz Zeit später betrat dann ein barfüßiger Steven Wilson mit seiner Band die Bühne. Zu Beginn spielten Porcupine Tree – Achtung!! Déjà Vue! – ihr komplettes neues Album The Incident. Macht aber auch Sinn, ist ein Konzept-Album – sollte man nicht auseinander reißen.
Begleitet von einer ausgiebigen Dia-Film-Show war es besonders der grandiose Sound, der das Konzert zu einem einmaligen Erlebnis machte. Porcupine Tree sind zwar besonders in den vergangenen Jahren dem progressiven Hardrock immer näher gekommen, aber die Qualität des Sounds hat darunter nicht gelitten.
Nach einer exakten zehn minütigen Pause – auch das kennen wir schon – folgte mein persönlicher Höhepunkt: Einer der besten Prog-Songs wurde mit Start Of Something Beautiful extra für mich gespielt. Überhaupt hatte es der zweite Part mit einer phänomenal guten Songauswahl bei hervorragender Akustik in sich.
The Incident
—-
The Start Of Something Beautiful
Buying New Soul
Anesthetize Part 2 (Pills)
Stars Die
Way Out Of Here
Mother And Child Divided
—-
The Sound Of Muzak
Trains
Und wer gewinnt nun dieses Duell? Ein glattes Remis, würde ich sagen. Denn auch wenn Porcupine Tree die modernere und fortschrittlichere Musik macht – das merkt man auch am Publikum, das im Schnitt genau meinem Alter entsprach, während ich bei Marillion weiterhin der Jüngste bin, abgesehen von den Kindern, die von ihren Eltern mitgeschleppt werden – also abgesehen von der moderneren Musik, kann Marillion die bessere und fannähere Stimmung vorweisen und haben mit H den besseren Sänger und Entertainer an der Front.
Mein Wunsch: Der Perfektionist Steven Wilson sollte ein Marillion-Album produzieren – ein Meisterwerk wäre geboren.
PS: Das erste Mal habe ich Porcupine Tree übrigens vor über zehn Jahren gesehen: Als Vorband von Marillion in Hamburg … da schließt sich ein Kreis.